ver.di Vertrauensleute der Stadt Dortmund für Diskussion um selbstbestimmte Software

Bild: ver.di Bezirk Dortmund
Nachdem die ver.di Vertrauensleutevollversammlung der Stadt Dortmund einstimmig nach selbstbestimmter Software für die Stadt Dortmund gefragt hat, wurden bisherige Erkenntnisse nun für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Dortmund schriftlich aufgearbeitet. Mit einem Beitrag in der Inside, der ver.di-Zeitung für Beschäftigte der Stadt Dortmund von Juni 2015, engagieren sich die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für eine Diskussion um demokratische Gemeinschaft und kommunale Selbstverwaltung in der digitalen Welt. Do-FOSS freut sich dieses Engagement begleiten zu können.
Beitrag in der Inside ver.di
Selbstbestimmte Software für die Stadt Dortmund
Am 11. Februar 2015 nahm die ver.di Vertrauensleutevollversammlung der Stadtverwaltung Dortmund durch einen Vortrag zur Kenntnis, dass das Wissen, wie Softwareverfahren der städtischen IT im Genauen arbeiten, meist nur noch Anbieter der internationalen Privatwirtschaft haben – die anders als die Stadt allerdings nicht gemeinwohlorientiert kalkulieren und produzieren. Während die städtische Verwaltung zwar die Konfiguration und Administration der aktuell verwandten proprietären[1] Software vornimmt, wird ihr die Funktionsweise dieser Software von den Herstellern aus Marktkalkül vorenthalten. IT-Experten und Politiker sehen zunehmend kritisch die sich verstärkenden Abhängigkeiten von Softwarekonzernen. Immer lauter wird der Ruf nach Alternativlösungen und dem Aufbau einer möglichst selbstbestimmten, unabhängigen IT-Infrastruktur für den Öffentlichen Dienst.
So stellen auch wir die Frage: „Sind die kommerziellen Standardprodukte, die immer intransparenter und funktional überfrachteter werden, für unsere Aufgabenerledigung (noch) geeignet? Müssen bzw. dürfen wir als Kommune der aktuellen Entwicklung (Daten in die Cloud[2] u.ä.) folgen? Können wir (Beschäftigte der Stadt Dortmund) den Schutz der uns anvertrauten Daten auch zukünftig gewährleisten? Wir möchten euer Interesse wecken und deutlich machen, warum wir uns für dieses Thema engagieren.
Selbstverwaltung und öffentliche Steuerungsfähigkeit stärken!
Die öffentliche Daseinsvorsorge hat in vielen europäischen Ländern eine lange Tradition, die gesellschaftliche Errungenschaften wie sozialen Zusammenhalt und Chancengleichheit fördert. Bei der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie darf die öffentliche Selbstverwaltung und demokratische Steuerungsfähigkeit öffentlicher Körperschaften nicht ausgehöhlt werden.
Die Öffentliche Hand muss auch in der Informationsgesellschaft weiterhin die Grundversorgung mit öffentlichen Leistungen gewährleisten können. Durch Auslagerungen, Privatisierungen und sogenannte öffentlich-private Partnerschaften (PPP) werden Selbstverwaltung und Steuerungsfähigkeit wegen vorgeblicher „Effizienzsteigerungen“ oder „Kostenreduktionen“ viel zu leichtfertig an private Unternehmen abgetreten – mit oftmals nicht zu vertretenden Folgen für die breite Öffentlichkeit und Infrastruktur.
Die öffentliche Hand muss auch im IT-Bereich selbstständig und kompetent beurteilen, was sie einkauft, die Gesamtkosten realistisch einschätzen und Leistungen selbst erbringen. Dazu benötigt sie ausreichendes und gut qualifiziertes (IT-) Personal. Mangelnde technische Kompetenz im eigenen Hause würde einen unüberschaubar hohen Grad der Abhängigkeit von privaten Unternehmen erzeugen. Das wäre nicht nur ein Steuerungsdefizit sondern vor allem ein Demokratieproblem.[3]Es gilt, kommunale Selbstverwaltung in der digitalen Welt zu erhalten
Das Grundgesetz sichert den Kommunen das Recht zu, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft selbstbestimmt zu regeln.
Um Entscheidungsspielraum für diese Selbstbestimmung zu sichern, ist unabhängige Kommunikation und Datenverarbeitung eine Kernvoraussetzung. Auch ein unmittelbar für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer technischer Datenschutz und eine effektive Datensicherheit sind wegen unserer zunehmenden digitalen Vernetzung zu wichtigen Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Verwaltung geworden. Gleichzeitig setzen wir verwaltungsweit verstärkt Computersysteme ein, die automatisiert Handlungen vorbereiten und damit menschliche Entscheidungen (in Teilen) bereits ersetzen. Wer diese Technologien kontrolliert, kontrolliert indirekt aber faktisch auch den Entscheidungsspielraum von kommunalen Akteuren – seien es Bürgerinnen und Bürger, Behörden oder Unternehmen. Ein Kontrollverlust über diese Technologien durch Verlagerung an außerkommunale Akteure gibt diesen eine demokratisch nicht kontrollierbare Macht über die örtliche Kommunikationsinfrastruktur.Die Stadt Dortmund benötigt eine IT-Infrastruktur, welche durch die kommunale Politik steuerbar ist und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Bürgerinnen und Bürger – aber auch Unternehmen – schützt. Die IT- und Datensicherheit, welche die Stadt Dortmund gewährleisten muss, wird durch eigene Gestaltungs- und Handlungskompetenz bei der Datenverarbeitung gefestigt.
Es stellt sich die Frage, in wie fern Closed-Source-Software, deren interne Funktionsweise dem Anwender (und herstellerunabhängigen Dritten) verborgen ist, diese Anforderungen erfüllen kann. Freie und Quelloffene Software, also Software, deren Quelltext bzw. Funktionsweise öffentlich einsehbar ist, bietet als Grundbaustein der IT-Architektur zumindest die Chance auf Überprüfung, ob ein Programm auch wirklich (nur) das tut, was es tun soll. Die bekannt gewordene Weitergabe von Sicherheitslücken und Daten durch IT-Unternehmen an ausländische Geheimdienste zeigt deutlich, dass der Schutz von öffentlich-rechtlich erzeugten Daten neu zu konzipieren und eine herstellerunabhängige Überprüfung der Datensicherheit unausweichlich geworden ist. Bürgerinnen und Bürger, sowie Unternehmen müssen darauf vertrauen können, dass ihre Daten vor unberechtigtem Zugriff sicher sind und ausschließlich datenschutzkonform verarbeitet werden.
Software, die bei der Stadt Dortmund eingesetzt wird, sollte deshalb quelloffen sein, um das Verwaltungshandeln auch sicherheitstechnisch auf eine feste demokratische Grundlage zu stellen. In einem ersten Schritt wäre es sinnvoll, die Vor- und Nachteile der absehbaren Veränderungsprozesse sowie die Risiken der bestehenden Abhängigkeiten aufzuarbeiten.
Demokratischen Idealen gerecht werden
Schon seit Jahren besteht ein Widerspruch zwischen demokratischen Grundsätzen und der Nachvollziehbarkeit der Funktionsweise von aktuell verwandter Software in der öffentlichen Verwaltung. Diese Diskrepanz wird sich immer stärker auf die Gesamtgesellschaft auswirken, da sich immer mehr Dienstleistungen weg von einer Mensch-zu-Mensch-Interaktion hin zum automatisierten Dialog verlagern: Nicht nur, dass immer mehr Bücher im Internet gekauft und Reisen online gebucht werden, auch der Kontakt zwischen Bevölkerung und Verwaltung wird zunehmend über Computerprogramme bewerkstelligt. Diese Informations- und Kommunikationstechnologien bilden die Basis für E-Government-Lösungen. Es geht also um viel mehr, als um die Frage, wie z.B. das Einwohnermeldeamt mit unseren Daten umgeht.
Der digitalen Spaltung entgegen wirken
Die Verwendung von Software schließt das Nutzen von Dateiformaten ein. Analog zu Freier Software wird in diesem Zusammenhang von Offenen Standards gesprochen. Diese können als universelle Sprache der digitalen Gesellschaft verstanden werden.
Erst durch eine gemeinsame Sprache kann jeder Mensch nach eigenem Interesse und eigenen Fähigkeiten an einem gesellschaftlichen Dialog teilnehmen. Weil nur durch eine vielfältige Teilnahme an diesem Dialog eine dynamische und nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung ermöglicht wird, ist der Vergleich einer gemeinsamen Sprache mit Offenen Standards wichtig. Dieses Verständnis bedeutet auch, dass eine Gesellschaft gespalten wird, wenn nicht jeder Mensch ihre Sprache verwenden kann.
Da Offene Standards als universelle Sprache der digitalen Gesellschaft keine Bürgerin, keinen Bürger, keine Behörde und kein Unternehmen dazu drängen, Software eines bestimmten Herstellers zu erwerben, nur um Dokumente der Stadt Dortmund lesen zu können bzw. kommunikative Anbindung an die Stadt Dortmund zu erhalten, schließen Offene Standards niemanden aus und wirken so einer digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegen.Einer zunehmenden Anbieterabhängigkeit vorbeugen, Kosten der öffentlichen Verwaltung reduzieren
Offene Standards unterliegen keinen gewerblichen Schutzrechten. Das bedeutet, dass es kein Monopol auf Offene Standards geben kann. Dies ist entscheidend, denn der Inhaber eines Monopols auf einen Standard kann Datenaustausch auf rechtlichem Wege einschränken, indem er ihn nur für eine gewisse Gruppe von Lizenznehmern erlaubt. Da kommunale Verwaltungen ihre Dienste in der Regel langfristig anbieten und eine Umstellung der verwandten Formate mit erheblichem Aufwand verbunden ist, werden Verwaltungen von den Rechteinhabern eines Standards abhängig. Abhängigkeiten wie diese begünstigen wiederum steigende Preise aufgrund dieser Monopolstellungen.
Freie Software beugt zusätzlich zu Offenen Standards einer Monopolisierung vor, indem bei einem Hersteller in Auftrag gegebene Projekte durch andere Vertragspartner fortgeführt werden können – denn bei Freier Software ist der Quelltext öffentlich verfügbar und darf uneingeschränkt weiterentwickelt werden. Eine Vielfalt von Anbietern ermöglicht somit eine kostengünstige und stabile Bereitstellung von Softwareprodukten bei bekannter Rechtssicherheit.
Zudem wird der freie Austausch von Software zwischen Kommunen durch Freie Lizenzen ermöglicht. Dadurch können Synergien genutzt werden, um dringend benötigte Kostensenkungen zu realisieren.Einblick
Bildung und Zugang zu Wissen sind Grundrechte von zunehmender Bedeutung. Deshalb ist eine kalkulierte Einführung technischer Barrieren, welche Bildung und Wissenszugang beschränken, ein Vergehen an der Allgemeinheit. Demokratische Teilnahme am öffentlichen Geschehen ist immer auf offenen Zugang zu Wissensbeständen angewiesen. Deshalb geht es bei der Auswahl von Software um nicht weniger, als um den Schutz unserer Grundrechte.
Weil Technikeinsatz als dienendes Instrument und nicht als autoritär-administrierende Fernsteuerung zu konzipieren ist, muss eine demokratische Gesellschaft auch hier Mitbestimmungsrechte und Koalitionsfreiheit ausüben können. Daher, und damit die demokratische Steuerungsfähigkeit unseres Gemeinwesens nicht unterlaufen wird, wollen wir die gesellschaftspolitischen Vorteile einer transparenten Softwareausrichtung in das Dortmunder IT-Konzept intensiv eingebunden sehen.
Sollte es demokratisch nicht legitimierten Akteuren – wie Konzernen – gelingen, Strategien der technokratischen und allgegenwärtigen Einflussnahme fortzuführen, wäre dies eine bedenkliche Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger und eine Selbstentmachtung von Politik und Verwaltung.
Nicht zuletzt gilt: Was mit öffentlichen Geldern finanziert wird, muss als Allgemeingut für die Öffentlichkeit zugänglich sein; so auch Software.Ausblick
Wir verkennen nicht, dass die Softwarearchitektur jeder öffentlichen Verwaltung hochkomplex und in der Regel historisch gewachsen ist. Daher ist es herausfordernd, lenkend in diese Struktur einzugreifen. Dennoch: der Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Informationen ist in der Informationsgesellschaft ähnlich elementar, wie die Grundversorgung mit Wasser oder Strom. Freie Software und Offene Standards sind unersetzlich, um Bürgerinnen- und Bürgerrechte ins digitale Zeitalter zu übersetzen und eine öffentliche Daseinsvorsorge für die Informationsgesellschaft zu verantworten.
Wir halten es für dringend geboten, dass die Stadt Dortmund zukünftig Freie und Quelloffene Software gegenüber Closed Source Software konsequent priorisiert und Offene Standards implementiert. Auf diese Weise wird die Closed Source Software der Dortmunder Stadtverwaltung stetig und steuerbar durch Freie Software abgelöst.Demokratische Gemeinschaft und kommunale Selbstverwaltung in der digitalen Welt erhalten:
Freie Software und Offene Standards für die Stadt Dortmund!Mitwirken?
Wer mitwirken möchte unsere kommunale Selbstverwaltung in der digitalen Welt zu gestalten, ist zu regelmäßigen Open-Office-Treffen herzlich willkommen. Die aktuellen Termine gibt es auf http://do-foss.de unter https://blog.do-foss.de/do-foss/open-offices
Beim Open Office vom 5. Mai 2015 wurde vorgeschlagen, das Thema im Zusammenhang mit der Erstellung des städt. IT-Konzepts 2016-2021 einzubringen. Mit dem nachfolgenden Formulierungsvorschlag könnte eine innerstädtische Softwarediskussion angestoßen werden:
Innerhalb der nächsten Jahre wird – u.a. im Rahmen einer Risikoanalyse – untersucht, inwiefern bzw. wie stark die städt. IT-Infrastruktur von Dritten (Softwareanbietern) abhängig ist. Werden nicht (mehr) zu tolerierende Abhängigkeiten und/oder Risiken festgestellt, soll der schrittweise Umstieg auf Freie Software als Ausweg aus dieser Abhängigkeit genauer untersucht werden. Spätestens im Jahr 2018 sollte das Ergebnis dieser Untersuchung dem Rat per Vorlage zur Kenntnis gebracht und weitere Handlungsvorschläge zur Diskussion gestellt werden.
- [1] Proprietäre Software ist im Eigentum der Hersteller und wird dem Kunden mit stark eingeschränkten Rechten zur Verfügung gestellt. Das Gegenmodell nennt sich Freie Software. Diese ist in dem Sinne frei, dass ihr Eigentum ist auf niemanden eingeschränkt ist, womit sie Gemeingut ist und allen gehört.
- [2] Unter Cloud versteht man das Speichern von Daten in einem entfernten Rechenzentrum, aber auch die Ausführung von Programmen, die nicht auf dem lokalen Arbeitsplatzcomputer oder Server installiert sind, sondern eben entfernt in der (metaphorischen) Wolke (englisch cloud).
- [3] Zum Abschluss der ver.di-Konferenz „Staatliche Verantwortung und Öffentliche Daseinsvorsorge in der Informationsgesellschaft“ am 5.9.08 wurde das „Berliner Manifest: Öffentliche Dienste 2.0 – Die Daseinsvorsorge in der Informationsgesellschaft stärken!“ von den Erstunterzeichnern verabschiedet. Die OrganisatorInnen wollen mit dem zehn Punkte umfassenden Manifest eine breite politische Debatte anregen und stellen dieses hiermit öffentlich zur Diskussion. Wir haben den Auszug für die Inside angepasst.
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